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Metformin als Mikronährstoffräuber

Metformin und Protonenpumpenhemmer
Die unsichtbare Gefahr: Mikronährstoffräuber
Laut Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft ist Arzneimitteltherapiesicherheit – kurz AMTS – die Gesamtheit der Maßnahmen zur Gewährleistung eines optimalen Medikationsprozesses mit dem Ziel, Medikationsfehler und damit vermeidbare Risiken für den Patienten bei der Arzneimitteltherapie zu verringern (Aktionsplan Arzneimitteltherapiesicherheit für Deutschland 2021-2024). Wer eine ganzheitliche Therapie seines Patienten anstrebt, kommt dabei nicht an der Berücksichtigung möglicher Mikronährstoff-Defizite durch die Pharmakotherapie vorbei.
Denn Arzneistoffe können sowohl durch pharmakokinetische als auch pharmakodynamische Mechanismen den Mikronährstoffhaushalt stören. Pharmakokinetische Interaktionen stören beispielsweise die Absorption oder erhöhen die Exkretion, während pharmakodynamische Interaktionen durch die pharmakologische Wirkung und beispielsweise Enzymhemmung auftreten.
Mittlerweile sind zahlreiche Wechselwirkungen zwischen einzelnen Wirkstoffen, Wirkstoffklassen und Mikronährstoffen bekannt und gut dokumentiert. So warnte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft bereits im Jahr 2022 vor den Folgen eines unentdeckten Vitamin-B12-Mangels, der während einer Metformin-Therapie auftreten kann. Die Drug Saftey Mail 2022-34 (Information der britischen Arzneimittelbehörde) empfiehlt die Überwachung von Risikopatienten. Laut Arzneimittelkommission steigt das Risiko für einen B12-Mangel mit zunehmender Dosis, Behandlungsdauer sowie weiteren Risikofaktoren für einen Vitamin B12-Mangel. Diese seien höheres Alter, eine vegetarische/vegane Ernährung, Komedikation mit Protonenpumpenhemmern sowie bestimmte gastrointestinale Erkrankungen wie Morbus Crohn und andere entzündliche Darmerkrankungen. Die Arzneimittelkommission schreibt weiter: „Vitamin B12 (Cobalamin) ist wichtig für verschiedene metabolische Funktionen wie Zellproliferation, Energieproduktion und die Funktion des Nervensystems. Symptome eines Vitamin-B12-Mangels können beispielsweise makrozytäre Anämie, Glossitis oder neuropsychiatrische Verschlechterung wie Neuropathie sein.“ Tückischer Weise können einige klinische Symptome eines Vitamin-B12-Mangels damit auch als alters- oder Diabetes-bedingte Polyneuropathie fehlinterpretiert werden und es droht schlimmstenfalls eine Verschreibungskaskade.
Ist die aktive Resorption von Vitamin B12 gestört, kann über ausreichend hoch dosierte orale Präparate glücklicherweise dennoch eine suffiziente Versorgung sichergestellt werden. Denn rund 1% der Dosis werden unabhängig von Intrinsic Faktor und Magensäure passiv resorbiert. In der Prävention sind täglich ab 500 bis 1000 ug pro Tag Vitamin B12 sinnvoll. Das in Präparaten häufig verwendete Cyanocobalamin ist eine rein synthetische, an Blausäure gebundene B12-Form und kommt im Körper nicht natürlicherweise vor. Hochdosierte Lutschtabletten mit dem körpereigenen Hydroxocobalamin (beispielsweise mit 500ug pro Lutschtablette) können eine sinnvolle Ergänzung bei entsprechender Medikation und/oder Risikofaktoren darstellen, die zudem durch die einfache Einnahme als Lutschtablette die Compliance unterstützen.
Beispiel: Resorption von Vitamin B12


Diagnostik eines B12-Mangels: HoloTC und nicht B12 messen!
Symptome eines B12-Mangels können sehr unspezifisch ausfallen und sich beispielsweise auch in Gangunsicherheit oder Müdigkeit äußern, die bei betagten Patienten fälschlicherweise auf das vorgerückte Alter zurückgeführt werden könnten. Eine frühzeitige Diagnostik ist jedoch nicht zuletzt aufgrund der Lebensqualität und Folgeschäden durch Stürze relevant, sondern auch deshalb von besonderer Bedeutung, da neurologische Schäden in der Anfangsphase reversibel sind.
Im Plasma liegt Vitamin B12 in zwei Formen vor: Der Großteil (70 bis 90 %) ist an Haptocorrin gebunden. Allerdings sind nur Leberzellen dazu in der Lage, über spezifische Rezeptoren an Haptocorrin gebundenes B12 aufzunehmen. Es gilt daher als metabolisch inaktiv. Biologisch aktiv ist nur an Transcobalamin gebundenes Vitamin B12, kurz: Holo-Transcobalamin (HoloTC). Nur dieses kann von allen Zellen aufgenommen werden und stellt die zelluläre Versorgung sicher.
Wird im Serum lediglich der B12-Spiegel bestimmt, unterscheidet das Labor nicht zwischen metabolisch aktivem und inaktivem B12. Bereits bei einem Gesamt-B12-Wert im unteren Drittel des Referenzintervalls kann ein Mangel an HoloTC vorliegen, der nicht erfasst wird. Dies gilt insbesondere bei Vitamin-B12-Werten < 350 pg/ml.
Besser geeignet ist daher die Messung des HoloTC. Ein erniedrigter Wert zeigt eine Entleerung des Vitamin-B12-Speichers an. Laut IMD-Labor in Berlin (Diagnostik des Vitamin-B12-Mangels) hat sich zudem die Bestimmung von Homocystein und Methyl-Malonsäure (MMA) in der Diagnostik bewährt. Beide Sotffwechselprodukte steigen im Rahmen des Methionin-/Homocysteinspiegels an, falls ein intrazellulärer und damit klinisch manifester B12-Mangel vorliegt. Laut IMD konnten bereits klinische Anzeichen eines B12-Mangels bei Vitamin-B12-Spiegeln innerhalb des Referenzbereichs (> 191 pg/ml) bei erniedrigtem HoloTC ( < 35 pmol/l) und erhöhtem MMA festgestellt werden. Die Messung eines normalen B12-Spiegel sollte also nicht in falscher Sicherheit wiegen. Ein erhöhtes Homocystein stellt zudem einen eigenständigen Risikofaktor für Osteoporose, Demenz, kardiovaskuläre Erkrankungen und vieles mehr dar.
Protonenpumpenhemmern stören die Vitamin B12-Resorption ebenfalls, wenn auch auf einem anderen Mechanismus: Einerseits beeinträchtigen sie die B12-Freisetzung und Spaltung aus der Nahrung durch Hemmung der Säuresekretion, andererseits blockieren sie die Bindung an den Transport-Faktor (Intrinsic Faktor) und damit die Bildung des IF-Vitamin-B12-Komplexes. Das Ergebnis ist das gleiche wie bei Einnahme von Metformin: Insbesondere bei Langzeiteinnahme droht eine Unterversorgung mit Vitamin B12 mit allen dazu gehörigen Folgen.
Auch eine Hypomagnesiämie tritt unter Protonenpumpenhemmern auf. So heißt es in der Fachinformation von Pantozol® 40 mg (Klicken Sie hier): „Schwerwiegende Manifestationen von Hypomagnesiämie mit Erschöpfungszuständen, Tetanie, Delir, Krämpfen, Schwindelgefühl und ventrikulären Arrhythmien können auftreten, aber sie können sich schleichend entwickeln und dann übersehen werden. Hypomagnesiämie kann zu Hypokalzämie bzw. Hypokaliämie führen (siehe Abschnitt 4.8). Bei den meisten betroffenen Patienten verbesserte sich die Hypomagnesiämie (sowie die mit der Hypomagnesiämie einhergehende Hypokalzämie bzw. Hypokaliämie) nach Gabe von Magnesium und Absetzen des PPI. Bei Patienten, für die eine längere Behandlungsdauer vorgesehen ist oder die PPI mit Digoxin oder anderen Arzneistoffen einnehmen, welche Hypomagnesiämie hervorrufen können (z. B. Diuretika), sollte der Arzt vor und periodisch während der Behandlung mit PPI eine Überwachung der Magnesiumwerte in Betracht ziehen.“ Viele Studien weisen mittlerweile darauf hin, dass bereits eine suboptimale Versorgung mit Magnesium mit einem erhöhten Risiko für beispielsweise Depression assoziiert wird und zudem die Glucosetoleranz verschlechtern oder eine Insulinresistenz begünstigen kann.
Das ist aber noch nicht alles. Auch die Resorption von Calcium wird durch die reduzierte HCl-Sekretion beeinträchtigt, sodass die Fachinformation bei längerfristiger Einnahme (> 1 Jahr) warnt: „Beobachtungsstudien deuten darauf hin, dass Protonenpumpeninhibitoren das Risiko von Frakturen möglicherweise um 10 – 40% erhöhen, wobei dieses erhöhte Risiko teilweise auch durch andere Risikofaktoren bedingt sein kann. Patienten mit Osteoporoserisiko sollten entsprechend den gültigen klinischen Richtlinien behandelt werden und Vitamin D und Calcium in ausreichendem Maße erhalten.“ Zusätzlich stört die Einnahme eines Protonenpumpenhemmers die Eisenresorption und erhöht damit das Risiko, einen Eisenmangel zu entwickeln (Use of proton pump inhibitors and risk of iron deficiency: a population-based case-control study). Für eine optimale Verträglichkeit bieten sich organisch gebundene Eisenverbindungen sowie Vitamin C an (siehe Eisentext).
Kurzum: Die gezielte Supplementierung angepasst an Erkrankungen und die Medikation sollte eine feste Säule im Rahmen der Arzneimitteltherapiesicherheit sein.
Quelle: Uwe Gröber, Arzneimittel und Mikronährstoffe, Medikationsorientierte Supplementierung, 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart