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Multivitamine erhöhen Mortalität?
„Multivitamine erhöhen Mortalität um 4%.“
Was ist wirklich dran an der Schlagzeile?! In Kürze: Nichts!
Keine Frage, solche Schlagzeilen sind medienwirksam. Doch wenn Multivitamine gar nicht erst näher definiert werden und Studienteilnehmer selbst antworten, erlauben auch große Studien keinerlei Aussage über Nutzen oder mögliche Risiken. Schlimmer noch: Sie schüren zu Unrecht Angst. Erfahren Sie mehr über die Hintergründe und methodischen Schwächen der Studie.

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Das Wichtigste zuerst:
- Die Observations-Studie „Multivitamin Use and Mortality Risk in 3 Prospective US Cohorts“ (Jama Network.com) benutzte Daten von 3 prospektiven Kohorten-Studien, die insgesamt Daten von 390 124 Teilnehmer umfasst
- „Multivitamine“ wurden nicht näher hinterfragt oder differenziert, folglich wurde die Einnahme unspezifischer 1$-Supermarkt-Ware und indikationsgerechtige, individuell zusammengestellte Supplementierung gleichgestellt
- Prospektive Observationsstudie können Methoden-bedingt allenfalls eine Assoziation, nicht jedoch Kausalität nachweisen
- Zahlreiche Schwächen räumen die Autoren selbst ein: Bias durch Verfälschung oder unterschieden in der Zusammensetzung der eingenommenen Multivitaminpräparate. Eine Verfälschung sei beispielsweise möglich, indem ältere oder sich kränklich fühlende Menschen eher zu Multivitaminpräparaten greifen als gesunde, sich vital und fit fühlende Personen, die somit in der Vergleichsgruppe landen. Die Einnahme von Multivitaminpräparaten ruft dann eine nicht-kausale positive Korrelation hervor. Sie liegt jedoch nicht an der Einnahme, sondern am erhöhten Mortalitätsrisiko der Personengruppe im Vergleich zum jüngeren oder gesunden Pendant
- Die Ergebnisse beruhen allein auf Selbstauskunft der Teilnehmer.
Ein Blick auf die Details:
Großangelegte Kohortenstudie, 390 000 Teilnehmer – das klingt auf den ersten Blick nach validen Daten. Ein Blick auf die Details zeigt allerdings schnell, dass die Studie keinerlei Aussage über Nutzen oder Risiken irgendwelcher Multivitaminpräparate erlaubt.
Ein Kernproblem ist sicherlich, dass prospektive Kohortenstudien keine Kausalität nachweisen können. Verschiedene Verzerrungen sind möglich:
- „Healthy User Effect“: Menschen mit einem gesünderen Lifestyle berichten üblicherweise über einen gesünderen Lebensstil, ernähren sich gesünder, rauchen weniger und neigen womöglich eher dazu, zu Nahrungsergänzungsmitteln zu greifen
- „Sick User Effect“: Demgegenüber greifen Patienten nach einer Diagnose vermehrt zu Nahrungsergänzungsmittel, um gesundheitlich zu profitieren.

Um diesen Schwächen zu begegnen, schlossen die gegenwärtigen Studien beispielsweise Patienten aus, die bei der Basiserhebung bereits eine Krebsdiagnose erhalten haben oder an Diabetes, Niereninsuffizienz im Endstadium bzw. Zustand nach Stroke oder Myokard-Infarkt leiden. Die Ausschusskriterien der Studien schließen damit aber leider gleichzeitig positive Effekte von Nahrungsergänzungsmittel auf die Sekundärprophylaxe oder bei bestehenden Erkrankungen von vorne herein aus.
Eine der drei zu Grunde liegenden Studien umfasst ausschließlich Teilnehmer, die als Farmer lizenziert Pestizide (!) anwenden und auf ihren Feldern verteilen (NIH: Agrargesundheitsstudie). Inwieweit diese Teilnehmer auf die Allgemeinbevölkerung übertragbar sind, sei an dieser Stelle dahingestellt.
Methodik der Studie: Selbstbefragung
Die Teilnehmer der Studie wurden via Fragebogen bei der Basiserhebung und Follow-Up-Befragung lediglich gefragt, ob sie Supplemente einnehmen oder nicht. Haben sie diese Frage bejaht, wurde als einzige weitere Differenzierung das Intervall von täglich zu nie erhoben sowie eine Frage nach weiteren Vitaminen und Mineralien gestellt, die nicht im Multivitaminpräparat enthalten sind.
Als Endpunkt wählen die Forscher Gesamt-Mortalität. Die Wissenschaftler wendeten sowohl individuelle Untersuchungen als auch gepoolte Analysen aus. Während die Basiserhebungen der drei zu Grunde liegenden Studien vergleichbare Ergebnisse hervorbringt, variierten die Studien im Verlauf des Follow-Up jedoch nicht unerheblich, sodass die Wissenschaftler Zeit-variable Analysen für jede Kohorte benutzten und meta-analysierte Risko-Abschätzungen bedienten. Mit Ausnahme der Familienhistorie von Krebs führten alle Covariabilitäten dazu, dass sich die gepoolten Risiko-Koeffizienten mindestens einmal um mehr als 10 Prozent veränderten. Diese umfassten Bildung, Alkohol- und Coffeinzufuhr ebenso wie BMI, Rauchen und Co. Multivariable-adjustierte Modelle wurden mit potenziellen Modifikationen stratifiziert.
Kurzum: Die Wissenschaftler bedienten zahlreicher mathematischer und statistischer Methoden einschließlich beispielsweise Cox-proportionalen Hazard-Modell mit zeitabhängiger Berücksichtigung von der Einnahme von Multivitamin-Produkten, um die vorliegenden Daten auszuwerten. Sie kommen nach all den Anstrengungen zu dem Schluss, dass die Einnahme von Multivitamin-Präparaten mit einer multivariabel-adjustierten (!) Hazard-Ratio von 1,04 nicht die Gesamt-Mortalität senkt. Aus Publicity-Gründen kann diese Zahl umgedreht werden und schnell eine „Mortalitätssteigerung von 4 %“ als Schlagzeile gedruckt werden.
Aber die kompliziertesten Berechnungen sind wertlos, wenn weder erhoben noch differenziert wird, was Patienten in welcher Dosierung und welcher Zusammensetzung einnehmen. Wäre es so einfach, „irgendein Multivitamin-Produkt“ zu nehmen, müsste es nicht unzählige unterschiedliche Zusammensetzungen auf dem Markt geben. Außerdem bräuchte es weder Ärzte noch Therapeuten oder fachkundige Experten, wenn es ohnehin keine Rolle spielt, was eingenommen wird.